Gelebtes Experiment

Wohnen im Haus Am Horn

von
/

„Haus für Marsbewohner“ wurde das Haus Am Horn genannt. Weimars einziger realisierter Bauhaus-Bau zeigte, wie sich Bauhäusler*innen modernes Wohnen vorstellten. Doch wie wohnte es sich wirklich darin? Eine frühere Bewohnerin erinnert sich.

„Weiße Bonbonschachtel“ oder „Nordpolstation“ – das Haus Am Horn, Weimars Beitrag zur Bauhaus-Ausstellung 1923, hatte in der zeitgenössischen Presse viele Namen. Das experimentelle, quadratische Haus zeigte, wie sich die Bauhausschüler*innen und -meister modernes Wohnen vorstellten. Die Schlagworte Komfort, Wirtschaftlichkeit und Funktionalität spielten dabei eine große Rolle. Wie sich das ungewöhnliche Wohnkonzept mit der Gruppierung der Funktionsräume um das zentrale ebenfalls quadratische Wohnzimmer bewährte und wie die Philosophie des Bauhauses weitergetragen wurde, zeigte sich in den folgenden Jahrzehnten, als mehrere Privatpersonen das Haus bewohnten.

Quadratischer Grundriss des Haus Am Horn. Bild: Georg Muche, Entwurf aus: Haus Am Horn, Lageplan, Ansichten und Grundriss. Abbildung in: Adolf Meyer, Ein Versuchshaus des Bauhauses 1925 © Bauhaus-Archiv Berlin

Nach dem Fortgang des Bauhauses aus Weimar wurde das Haus 1924 an den Notar Friedrich Alfred Kühn verkauft, der das quadratische Gebäude um mehrere Anbauten erweitern ließ. Obwohl dadurch der von Georg Muche konzipierte Grundriss verändert wurde, fügten sich die Anbauten – die bis 1998 bestanden – organisch an den bestehenden Kubus an. Die Anpassung des Gebäudes an die individuellen Bedürfnisse seines Bewohners entsprach dabei durchaus der Philosophie der Bauhaus-Architektur.

Das erweiterte Quadrat: Der Grundriss des Haus Am Horn mit den zwischen 1926 und 1933 entstandenen Anbauten. Foto: Archiv Grönwald

Kreativität aus der Not heraus

Nach dem erzwungenen Auszug Kühns 1938 und dem Zweiten Weltkrieg verwaltete die Stadt Weimar das Gebäude. Während der Wohnungsknappheit nach dem Krieg wurde es bis zu drei Mietparteien zugeteilt. Das machte eine Umfunktionierung der Räume zwingend erforderlich. Trotz einiger unkonventioneller Veränderungen – das Badezimmer wurde etwa als Küche genutzt und in das Vorratszimmer wurde eine Dusche eingebaut – berichteten ehemalige Bewohner*innen von einem glücklichen und sehr geselligen Leben im Haus Am Horn.

Der Geist des Bauhauses kehrt zurück

Im Jahr 1971 bezogen schließlich der junge Architekt Bernd Grönwald und seine Ehefrau Marlis mit ihren Kindern das Anwesen. „Lasst die Finger davon!“, warnte Marlis Grönwalds Mutter bei der ersten Besichtigung des inzwischen sehr maroden Hauses. Doch die Grönwalds nahmen die Herausforderung an: Sie wollten das Haus behalten und mit Leben füllen. Wer, wenn nicht eine junge Familie, sei dafür besser geeignet, sagten sie sich. So begannen sie, das Haus eigenhändig und denkmalgerecht zu sanieren, wobei erstmals seit der Errichtung der Bauhaus-Gedanke wieder eine große Rolle spielte. Marlis Grönwald erzählt heute, dass die Schönheit und die kleinen Besonderheiten des Hauses sich ihr erst auf den zweiten Blick offenbarten. Sie beschreibt dies am Beispiel des großen Wohnzimmers. In dem zunächst eher ungemütlich wirkenden Raum beobachtete sie einen „wunderschönen Lichtwechsel im Laufe der Tages- und Jahreszeiten”, der den Raum auf eine besondere Weise belebte.

Marlis Grönwald schippt Schnee vom Flachdach. Foto: Grönwald Archiv

Einige Unannehmlichkeiten hätte es aber auch gegeben, erinnert sich Marlis Grönwald: „Man lebte eben in einem Experiment.” Beispielsweise wurde das Haus mit energiesparendem Schlacke-Beton gebaut, der das Haus sehr gut dämmte. Allerdings entstand dadurch bei längerer Abwesenheit ein unerträglicher Geruch. Das Haus musste daher ständig belüftet werden. Auch das Flachdach musste oft ausgebessert werden, vor allem bei kräftigem Schneefall im Winter stellte es eine besondere Herausforderung dar.

Die Welt zu Gast beim Haus Am Horn

Auch die Grönwalds, die beide an der Hochschule für Architektur und Bauwesen (heute: Bauhaus Universität Weimar) arbeiteten, bewohnten das Haus nicht nach seinem ursprünglichen Konzept, zumal nach ihrem Einzug eine weitere Mieterin noch drei Räume bewohnte. So wurde auch das zentrale Wohnzimmer aufgrund seiner Durchgangslage nie als solches genutzt. Das Paar entschied aber bereits kurz nach Einzug, den Raum als Ausstellungskabinett zu nutzen. „Das Haus auch anderen zugänglich zu machen, war von Anfang ein Ziel gewesen”, erinnert sich Marlis Grönwald. Sie suchte daher die Bauhaus-Möbel für das Wohnzimmer sehr sorgfältig aus.

Die Grönwalds ließen zudem einige Möbel in der Tischlerei-Werkstatt der Hochschule für Architektur und Bauwesen anfertigen und kauften mit der Zeit einige Originalmöbel an. Ohne feste Öffnungszeiten wurde so die mit Hilfe der Hochschule gestaltete erste Ausstellung zum Haus Am Horn einem Fachpublikum aus aller Welt zugänglich gemacht. Touristen hatten jedoch keinen Zutritt. Im Oktober 1976 fand im Gebäude das erste Bauhaus-Kolloquium statt, zu dem alte Bauhausmeister und –schüler*innen anreisten. Drei Jahre später wurde das Wohnzimmer auch als Kursraum für Architekturstudent*innen genutzt.

„Bei allen Besonderheiten, die das Wohnen im Haus Am Horn geboten hat”, so Marlis Grönwald, sei das Kennenlernen der Moderne und der Bauhaus-Welt eine nicht aufzuwiegende Entschädigung gewesen. Es sei eben der Geist des Bauhauses, der ihr Leben im Weimarer Haus Am Horn immer begleitet habe.

Marlis Grönwald verließ 1998 das Haus Am Horn. Nach der Übergabe des Gebäudes an den Freundeskreis der Bauhaus-Universität sollte es für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Als Rentnerin lebt sie heute mit einem ihrer Söhne in Weimar.

Neuen Kommentar schreiben

* Diese Felder sind erforderlich

Aus unserem Blog

Vorhaben der Klassik Stiftung Weimar werden gefördert durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und den Freistaat Thüringen, vertreten durch die Staatskanzlei Thüringen, Abteilung Kultur und Kunst.