Stiftungspräsidentin Ulrike Lorenz sitzt auf einer Treppe im Schloss © Ina Schoenenburg / OSTKREUZ
Ulrike Lorenz: Rede zum Jahresempfang 2025

„… was die Welt im Innersten zusammenhält“

Die Rede von Stiftungspräsidentin Ulrike Lorenz zum Jahresempfang der Klassik Stiftung Weimar 2025 – jetzt lesen!

*** Es gilt das gesprochene Wort ***
Habe nun, ach! Philosophie, / Juristerei und Medizin, / Und leider auch Theologie / Durchaus studiert, mit heißem Bemühn. / Da steh' ich nun, ich armer Tor, / … Auch hab' ich weder Gut noch Geld, / … Es möcht‘ kein Hund so länger leben! …

Nun ja, angesichts leerer Staatskassen und heißer Kulturkämpfe möchte man in den Verzweiflungsmonolog des Antihelden FAUST einstimmen. Aber lesen wir weiter, denn der literarische Text eines Weimarer Staatsministers, der auch den überschuldeten Haushalt seines Herzogs auf dem Schreibtisch hatte, geht in eine andere Richtung: „Dass ich nicht mehr mit sauerm Schweiß / Zu sagen brauch‘, was ich nicht weiß; / Dass ich erkenne, was die Welt / Im Innersten zusammenhält. / Schau alle Wirkenskraft und Samen, / Und tu nicht mehr in Worten kramen.“

So kommt ein frustrierter Gelehrter von der Magie über den Erdgeist auf den Hund, des Pudels Kern, zu Mephistopheles, dem Geist, der stets verneint – und darum alles möglich macht, alles in Gang und Atem hält – auch das Nationalepos der Deutschen. „Was die Welt im Innersten zusammenhält“ – diese Frage führt Faust bei seinem teuflischen Run durch die Welt bis an den Rand des Menschenmöglichen – und weit darüber hinaus, bis zur Vernichtung von Mitmensch und Umwelt, zur Herauslösung aus Geschichte, Kultur und Humanität, bis in die völlige Verblendung – und ins eigene Grab: Erlösung als Auslöschung aller Begierden des modernen Menschseins. Nüchterner, hoffnungsloser und zugleich phantasievoller als Johann Wolfgang von Goethe in Weimar hat seitdem nur selten einer oder eine die anthropologische Programmierung zur Selbstzerstörung in einer kapital- und karbongetriebenen Welt beschrieben.  

An der Frage – nein nicht, wer die Wette gewonnen, das haben die Philologen längst unter sich aus- und am Konjunktiv festgemacht –, sondern an der Frage der Erlösung beißen sich die Eckermänner und Wissenschaftlerinnen und wir normale Bücherleserinnen und Theatergänger bis heute die Zähne aus. Was der beste Grund ist, warum Werke zu Klassikern werden: wir können nicht aufhören, auf ihnen herumzudenken.

Bevor ich dazu komme, liebe Gäste, ein Einschub: Ich mache Ihnen gerade vor, was wir in diesem Jahr mit Ihnen vorhaben. Wir steigen nämlich einfach ein in das, was uns – die Klassik Stiftung Weimar – im Innersten zusammenhält: wir steigen ein in einen Text, genauer: in den Text, der von hier aus in die Welt ging. Und genau das ist das Prinzip der Kunst (Gottfried Benn): „… da sein, sofort, ohne Einleitung, ohne Erklärungen, ohne Vorworte: ansetzen und da sein, – reine Existenz.“ 

Wir setzen selbstbewusst in diesem Jahr fortgesetzter Wahlen und Krisen und der entsprechenden Omnipräsenz von Tagespolitik in unseren Leben – einen Gegenpol, für den gerade wir als zweitgrößte Kulturstiftung der Bundesrepublik geradestehen: Kunst. Damit wollen wir Momente der Entlastung setzen, für Orientierung auf Unzeitgemäßes, Überzeitliches, Beständiges sorgen, Raum für Besinnung und Trost schaffen, für das Zusichkommen und Selbst-Sein – „reine Existenz“. 

Wir kommen also zurück auf Literatur. Auf ein Stück Weltliteratur – einen der zerklüftetsten, rätselhaftesten Texte, der je geschrieben wurde: auf Faust. Dazu hat die Klassik Stiftung Weimar jede Menge zu sagen und zu zeigen. Wir eröffnen Ihnen 2025 eine ganze Faust-Welt. Denn mit diesem Thema sind wir ganz bei uns und können ungeahnte Wirkungskräfte im Zusammenspiel unserer Forschungsinstitutionen und Verzauberungsorte entfalten:

Im Goethe- und Schiller-Archiv werden die Handschriften Goethes gehütet, 100.000de Blätter lose Gedanken, ganze Konvolute, Ab- und Reinschriften, Korrekturfahnen, Faszikel bis hin zur einst versiegelten Schreibkladde von Faust II – intimste Zeugnisse und Spuren eines 60-jährigen Schaffensprozesses. Manuskripte, Briefe, Tagebücher sind der unerschöpfliche Quellgrund aller Goethe-Editionen seit der Ursprungs-, der sogenannten Weimarer Ausgabe. Derzeit entsteht in diesem ersten Literaturarchiv der Welt in Finanzierungskooperation mit der Union der deutschen Akademien und Wissenschaften die digitale Edition der Goetheschen Lebenszeugnisse und der Goethe-Lyrik. 

Die Herzogin Anna Amalia Bibliothek – bedeutendste Forschungs- und Archivbibliothek Thüringens – beherbergt die weltweit größte Sammlung gedruckter Zeugnisse der Faust-Rezeption von einer 200-jährigen Kunstgeschichte der Illustrationen über tausende Theater- und Filmplakate, Postkarten und Comics bis hin zu zig Regalmetern Primär- und Sekundärliteratur – zu Faust und seiner Epoche. Und das ist der zweitbeste Grund für Klassiker: eine unendliche, wissenschaftlich vielfach überkreuz codierte Deutungsgeschichte.

Und schließlich das Goethe-Nationalmuseum – 1885 gegründeter Prototyp der Dichtergedenkstätte als nationalkultureller Symbolort, Schrittmacher bei der Erfindung der deutschen Kulturnation, Leitinstitution aller Dichterhäuser, Hauptattraktion in Weimar und Thüringen, Flaggschiff der Direktion Museen der Klassik Stiftung Weimar. 

Herzstück ist Goethes Wohnhaus am Frauenplan. Seit DDR-Zeiten in Würde gealtert, muss es jetzt saniert werden. Hier wirkte der Weltliterat, Naturforscher und Staatsmann über 50 Jahre lang und entfaltete seine Netzwerke in ganz Europa. Über 150.000 Menschen kommen jährlich aus aller Welt hierher, ein Drittel davon Schulklassen und Jugendgruppen. Sie sollen künftig nicht etwa eine weihevolle Nationalgedenkstätte vorfinden, sondern – ganz im Geist Goethes – ein lebendiges Ideenlabor. Mit dem physischen Denkmal wird also zugleich dessen gesellschaftliche Wirkung im 21. Jahrhundert zukunftsfest gemacht, das Denkmal wird zum Denkort.

Deshalb verknüpft die Klassik Stiftung Weimar die denkmalgerechte Instandsetzung des Wohnhauses mit seiner musealen Neukonzeption. Das Dichterhaus mit seinen historischen Ausstattungsschichten ist ein widersprüchlicher Palimpsest von höchster Überlieferungsdichte. Das „Kollektivwesen“ namens Goethe gestaltete es als Lebensmittelpunkt, Arbeitsort und Denkwerkzeug. Nachgeborene Generationen in wechselnden politischen Systemen haben es zunehmend fiktionalisiert und verfälscht. Dabei trat der Bildungsauftrag hinter dem Wunsch zurück, geschlossene Vorstellungswelten zu schaffen und dafür Brüche und Lücken der Geschichte gezielt auszublenden.

Bis heute wird kein Unterschied zwischen dem authentisch überlieferten Arbeitsbereich Goethes und der rein fiktiven Inszenierung der „Christiane-Zimmer“ aus den 1950er Jahren gemacht. Die Zerstörung zentraler Räume im Zweiten Weltkrieg bleibt ebenso unsichtbar, wie der bedingungslos erfinderische Wille zur Rekonstruktion bis 1949, zu dem in Ost wie West gleichermaßen geschichtsvergessen gefeierten 200. Goethe-Geburtstag. Das hier entstandene literarische Werk – Glutkern des Symbolorts Weimar – wird an keiner Stelle thematisiert.

Aus Goethes vollständig erhaltenen Sammlungen der Kunst und Natur mit rund 50.000 Objekten – die letzte Gelehrtensammlung dieser Dimension – aus diesen Sammlungen fungieren Einzelexemplare als Dekor im biedermeierlichen Wohnambiente. Nirgends wird hier auch nur ansatzweise der performative Gestaltungsfuror des „Originalgenies“ spürbar, das sein bis zum Bersten angefülltes und vielbevölkertes Anwesen als Instrument der Welterkenntnis und Werkgestaltung nutzte.

Lieber Herr Minister Tischner, wenn ich Sie Mitte Februar in die Gefilde der Klassik Stiftung Weimar einführe, dann komme ich auch zu sprechen auf die Kehrtwende in der öffentlichen Finanzierung dieses Weltkulturerbe-Projekts von 30 auf 13 Millionen Euro. Die 10 Millionen privater Mittel, die wir für das Projekt beschafft haben, bleiben uns, dem Himmel sei Dank, ungeschmälert erhalten. Die Erfahrungen aus dem Management dieser Prioritätenverschiebung in Bund und Land habe ich für die Kulturministerkonferenz in Handlungsempfehlungen aufbereitet. Keine Krise ohne Chance. 

Jedenfalls hält die Klassik Stiftung Weimar mit aller Intelligenz und Energie an ihrem Ziel fest, die Substanzsanierung mit einer kulturellen Neucodierung zu verknüpfen: Goethe für das 21. Jahrhundert. Hier soll ein Erinnerungsort der anderen Art entstehen: nicht allein Identität und Identifikation sind unser Ziel, sondern Lust auf Mehrdeutigkeit, Fremdheitserfahrung, Urteilskraft. Wir wollen hier künftig nicht von imaginären Vergangenheiten träumen, sondern von möglichen Zukünften. Kurzum: Das Goethehaus in Weimar soll Erinnerung nach vorn anstoßen. Anders werden wir unserem Auftrag nicht gerecht. 

Meine Damen und Herren, Goethe also vor Faust. Wir feiern 2025 das 250. Jahr seiner Ankunft in Weimar und damit den Startpunkt einer beispiellosen Sinnüberschuss-Produktion, der diesen Ort zur geheimen Kulturhauptstadt der Deutschen, zu einer Kulturprovinz von Weltrang gemacht hat.

Als der 26-jährige Frankfurter Großbürgersohn am 7. November 1775 früh um fünf in Weimar aus der Kutsche steigt, war da noch fast nichts: Mist und Morast auf dunklen Straßen, Hühner und Schweine vor Ackerbürgerhäusern. Das Schloss ragte als Brandruine in den Nachthimmel. Was suchte der Starautor des Götz und Werther hier – der erste deutschsprachige, der Weltliteratur mitprägte? Er wollte weg. Ihm hing, ach, die Juristerei zum Halse heraus, der anspruchsvolle Vater im Rücken und vielleicht hatte er auch den sauren Schweiß des Sagens kurz mal satt. Auf jeden Fall hatte Goethe Lust auf Freiheit und auf Neues, Neugier auf Gestaltungsmacht und Einfluss. Er kam und blieb unglaubliche 57 Jahre, ging nicht nach Berlin, Wien, München, nicht nach Paris, London, Moskau; Rom ja – aber kurz; Frankreich schon, doch Valmy – ein Desaster. 

Als Kind in Frankfurt hatte er noch mit gefiebert beim „halb gespenstischen Welttheater“ der Kaiserkrönung Josephs II. Als der 82-Jährige im Lehnstuhl am Frauenplan stirbt, gab es „Eisenbahnen, Schnellposten, Dampfschiffe und alle möglichen Facilitäten der Communication“, und – wie Goethe 1825 dem Berliner Freund Carl Friedrich Zelter weiter klagte: „Junge Leute werden viel zu früh aufgeregt und dann im Zeitstrudel fortgerissen; Reichthum und Schnelligkeit ist, was die Welt bewundert und wonach jeder strebt…“

1832 ist die Moderne da! Nach der Französischen setzt die industrielle Revolution das Schwungrad der Geschichte unter Strom: Beschleunigung aller Lebensvorgänge, der Zyklen von Kapitalisierung und Gewinnmaximierung, des Systems der Ausbeutung von Mensch und Umwelt, der Entkoppelung von Sachen und Werten. Der Mensch, das dramatische Tier, agiert nicht mehr vor dem ruhenden Massiv der Natur, sondern greift in dieses ein, stört Balancen, setzt unabsehbare Entwicklungen in Gang. Natur wird Ressource und Deponie. Doch damit ist auch die Fatalität und Endlichkeit der menschlichen Existenz besiegelt. Denn mit der Vermessung der Welt wird erstmals denkbar, dass auf einem endlichen Planeten kein unendliches Wachstum möglich ist. 

All das ahnt Goethe am Ende seines Lebens, das – zufällig oder nicht – die bedeutendste Zeitenwende vom Mittelalter zur Moderne ganz umspannt. Goethe lebte lang, schrieb viel – und er schrieb ergreifend schön. In seinen Texten modelliert er das Wissen seiner Epoche, in der sich die Aufklärung selbst fremd wurde und Dialektik als Denkmethode entstand. In seinen Dramen, Romanen und Gedichten gestaltet er die Kernfrage seiner Zeit: was der Mensch denn nun eigentlich sei. Dessen Tun nicht nur Reflex auf Ursachen, sondern auch durch Gründe und Rechtfertigungen bestimmt ist. Der Mensch: jetzt endlich so frei, Individualität auszubilden und sein Leben – wie er es bei den Dichtern lernt – anderen zu erzählen. Goethe-Zeit: das ist Individuation in den Konfliktkonstellationen einer Gesellschaft im Umbruch. Und Goethe selbst – Zeitzeuge und Zeitgenosse mit zunehmendem Abstand zum Zeitgeist – verwebt seine universale Bildung, seine Beobachtungen und Erfahrungen, sein Reflexions- und Ahnungswissen in die Textur seiner literarischen Werke, insbesondere in das, an dem er 60 Jahre lang gearbeitet hat: 

Faust – ist das Zentralereignis des Themenjahrs der Klassik Stiftung Weimar, Faust, nicht Goethe. Denn in Faust konkretisiert sich Goethe. Faust ist das Lebens- und Überlebensprojekt des Dichters und Denkers in Weimar. Früh begonnen, unstet bearbeitet, nie bewältigt, ein offener Text – ein Steinbruch, aus dem sich alle folgenden Generationen das herausbrachen, was ihnen in den Kram und zu ihrer Selbstrechtfertigung passte. Ein echter Klassiker also, ein Vexierspiel, das auch in Zukunft immer neue Deutungsebenen hervorbringen wird, die zuvor nicht lesbar sind: andere Antworten für andere Zeiten. Die unaufhörliche Geschichte seiner Um- und Neudeutungen hat den Urtext letzter Hand und seine 36 Versformen fast verschüttet. Dahin aber wollen wir durchaus zurück: wie klingt das vielstimmigste Sprachkunstwerk Goethes? 

In Faust führt Goethe einen Intellektuellen mit unbegrenzten Ressourcen mitleidlos vor – also fast seinesgleichen. Und er geht dabei weit über sich und seine Zeit hinaus: in die Vergangenheit und – wie wir heute wissen – in die Zukunft, die unsere Gegenwart ist. Goethe macht aus der Legendenfigur eines mittelalterlichen Schwarzkünstlers den modernen Tatmenschen. Erst Gelehrter, dann Begehrender, Beweger, Beschleuniger, Unternehmer und dabei immer: Unterwerfer und Vernichter. Die Geschichte eines Mannes, der sich radikal aus seinen Verhältnissen löst, um sich seine unersättliche Gier nach Erkenntnis, Erlebnis, Erfahrung und Besitz ohne Grenzen in Raum und Zeit zu erfüllen. Seine totale Freiheit führt in die Hybris, ins totale Desaster. Sie fordert den höchsten Preis. An diesem Schicksal modelliert Goethe das Verhängnis des modernen Menschen, sein heillos gottvergessenes, natur- und selbstzerstörerisches Vorlaufen in den System-Tod. 

Eine Tragödie antiken Ausmaßes – dieses Drama deutscher Zunge. Neben Bibel und Zarathustra trugen es Soldaten im Tornister auf die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs. (Auch Faust-Lektüren schützen nicht vor Wahnsinn.) Doch ist erst unsere Zeit in der richtigen Zwangslage, sich die ganze Reichweite dieses Textes zu Bewusstsein zu führen. Und es will scheinen, dass gerade Faust II, den der Autor seinen Zeitgenossen zu Recht nicht mehr zumuten wollte, heute erst verständlich wird: „wie eine entsiegelte Flaschenpost ans Anthropozän“ (Petra Lutz) – eine Kritik der prophetischen Vernunft. Jedenfalls liest und versteht sich vieles in diesem nach dem Tod des Autors publizierten Werk heute als brennend aktuell.

Meine Damen und Herren, die Klassik Stiftung macht Weimar 2025 zur Faust-Werkstatt. Mit Ausstellungen und Interventionen, Experimenten und Debatten, mit Bildungsangeboten, dem Stiftungsmagazin und „Faust on tour“ durch Deutschland wollen wir Sie in die Imaginationswelten Goethes ent- und zu seinem wirkmächtigsten Text ver-führen. Dafür legen wir mit unseren singulären Sammlungsschätzen eine Faust-Spur durch die Stadt. Wir – das sind die Expertinnen und Wissenschaftler in den Profilinstitutionen der Stiftung, Ausstellungskuratorinnen und Goethe-Philologen, Bibliothekarinnen und Historiker, Restauratoren, Graphikerinnen, Gestalter und viele Kolleginnen in Forschung, Vermittlung und Kommunikation. 

Das Zentralereignis heißt Faust. Eine Ausstellung. Sie wird – wie könnte es anderes sein – in der Walpurgisnacht am 30. April 2025 im Schillermuseum eröffnet. Damit widmen wir den postmodernen Museumsneubau der späten DDR an die Literatur zurück, was einfacher gesagt, als getan ist. Die Ausstellung – unter Leitung der Chefin des Goethe-Nationalmuseums Petra Lutz konzipiert – wird durch das Büro Franke Steinert mit expressiven Typographien von Ariane Spanier, Comics von Simon Schwartz, mit einer Collage aus Faust-Filmen und einem Chor aus Faust-Leserinnen in eine räumliche Choreographie übersetzt. Lesen, Hören, Schauen, Staunen und Verstehen wie im Sog. Die Ausstellung soll Goethe-Kenner genauso begeistern wie ein breites, junges Publikum, das sich mit seinen Themen wiederfindet und dabei über die unerwartete Nähe eines fernen Autors staunt. 

Diese Ausstellung wird erstmals nicht die verwickelte Genese von Goethes Lebenswerk oder seine unendliche Rezeptionsgeschichte in den Fokus nehmen, sondern eine eigene Lesart entwickeln. Genesis hingegen führt das Goethe- und Schiller-Archiv stolz vor und erstmals seit seiner Gründung auch das Originalmanuskript Faust II – nicht als tote Reliquie im Schneewittchensarg einer Vitrine, sondern mit kuratorischen Einführungen und Aufblätterungen zu Terminen. Rezeption wiederum macht mit teuflischem Vergnügen am Beispiel Mephisto die Bibliothek zu ihrem Thema. In Nietzsche-Archiv und Bauhaus-Museum Weimar weiten wir die Rezeptionshorizonte bis hin zu den Bühnenbildnern von Oskar Schlemmer zu Grabbes Don Juan und Faust für das Deutsche Nationaltheater – 1925 des Bauhaus-Meisters Abschied aus Weimar. 

In der Walpurgisnacht wird ein Faustischer Festumzug mit Goethes Fabeltieren zu den verschiedenen Faust-Stationen führen. Ab 18 Uhr geht’s am Schloss los. Danach wird uns das Faust-Jahr nicht lang. In Bildung und Forschung, analog und digital, bei fortgesetzten Faust-Events und in Faust-Kooperationen mit Nationaltheater, ACC Galerie, Kunstfest, den Freundeskreisen und unserem Liebhabertheater auf Schloss Kochberg, tauchen Sie ein in Faust-Welten. Mit den Weimarer Kontroversen, die auch auf der Buchmesse Leipzig und im Kulturforum Berlin gastieren, schreiben wir Faust III – Fortsetzung des Faustischen im 21. Jahrhundert. Die Faust-Ausgabe unseres Magazins klassisch modern wird ab März mit 150.000 Exemplaren in ganz Deutschland verbreitet. Genügend Stoff und Anreiz, um viele Leute auf die Beine und nach Weimar zu bringen. 

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam 2025 Goethes Faust neu lesen. Zur faszinierenden Dialektik großer Kunst gehört, dass ihre immer wieder neu entflammbare Aktualität in Unzeitgemäßheit wurzelt. Goethe, der große Unzeitgemäße, weiß immer zugleich mehr und weniger als er sagt. Er schreibt konsequent mehrsinnig: Vierfacher Schriftsinn – historisch und allegorisch, moralisch und als Ausdruck der Hoffnung – blendet sich kaleidoskopartig ineinander, wird eingeschmolzen in die Hybridität eines gattungssprengenden Epos. Kraft seiner Sprache entzieht sich Goethe prinzipiell Vereinfachungsstrategien jeglicher Couleur. Das Irrlichtern seiner hochverdichteten Poesie lässt sich auf keinen Nenner bringen. Das spricht uns als Einzelne ganz persönlich an. Goethes Phantasie öffnet Horizonte und entzündet Sehnsucht nach Sinn und Sinnlichkeit. 

 

Neuen Kommentar schreiben

* Diese Felder sind erforderlich

Aus unserem Blog

Vorhaben der Klassik Stiftung Weimar werden gefördert durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und den Freistaat Thüringen, vertreten durch die Staatskanzlei Thüringen, Abteilung Kultur und Kunst.