Eine (un)mögliche Ausstellung
von /Die neue Ausstellung Nietzsche privat im Museum Neues Weimar zeigt erstmals die Einrichtung der Geschwister Nietzsche. Was uns die Möbel heute noch erzählen können, warum historische Fotos für die Ausstellung wichtig sind und was es mit der Inszenierung der Objekte auf Paletten und in Transportkisten auf sich hat, verraten die Kuratoren im Interview.
Wie kamen Sie auf die Idee, die Wohngegenstände von Friedrich Nietzsche und Elisabeth Förster-Nietzsche in den Fokus einer Ausstellung zu rücken?
Manuel Schwarz: Im Rahmen des Projekts Kunst und Memoria, das im Forschungsverbund Marbach Weimar Wolfenbüttel angesiedelt ist, beschäftigen wir uns schon seit einiger Zeit mit dem dinglichen Nachlass des Weimarer Nietzsche-Archivs. Hierzu gehören einerseits die Bildnisse von Friedrich Nietzsche, die ebenfalls Teil der Ausstellung sind, aber auch das Mobiliar und der Hausrat der Geschwister Nietzsche. In den 1990er Jahren hat sich unsere frühere Kollegin Angelika Emmrich mit einzelnen Stücken befasst, mit sehr interessanten Ergebnissen. Doch eine systematische Aufarbeitung der Einrichtung, die zu DDR-Zeiten eingelagert wurde, fehlte bislang.
Sabine Walter: Der Bestand ist gigantisch und treibt mich schon länger um. Im Arbeitsalltag konnten wir uns nicht einfach nebenbei damit beschäftigten, dafür brauchte es schon ein richtiges Projekt. Kunst und Memoria und das Themenjahr Wohnen der Klassik Stiftung Weimar boten uns endlich einen Anlass, die Objekte zu zeigen. Wir haben uns erst mit den Restaurator*innen zusammengesetzt, denn die Möbel waren in einem desolaten Zustand und sind es nach wie vor. Die Kolleg*innen haben sie dann für die Ausstellung transport- und ausstellungsfähig gemacht, aufwendig restauriert wurden sie aber nicht.
Was erzählen die Objekte über das Zusammenleben der Geschwister Nietzsche?
Manuel Schwarz: Für die Ausstellung haben wir die Objekte so gruppiert, wie sie auf den historischen Fotos vom Obergeschoss des Nietzsche-Archivs, wo Nietzsche im Jahr 1900 verstarb, zu sehen sind. Man kann sich fragen, wie authentisch die Räume sind. Alle Innenraumaufnahmen, auf die wir uns beziehen, sind in Weimar entstanden. Zur Zeit der Aufnahmen war Nietzsche also bereits geistig umnachtet beziehungsweise tot. So gesehen handelt es sich bei den Räumen um Inszenierungen von Elisabeth Förster-Nietzsche: 1897 hat sie ihren kranken Bruder nach Weimar geholt und ihn noch drei Jahre bis zu seinem Tod gepflegt und ausgewählten Gästen vorgeführt.
Sabine Walter: Nietzsche selbst hat auch nicht viel Wert auf ein spezielles Einrichtungsdesign gelegt. Es war seine Schwester, die seine Baseler Wohnung eingerichtet hat. Die Wahl der Möbel und des Hausrats war damals eher Frauensache. Wir können nur von zwei Möbeln nachweisen, dass der „denkende“ Nietzsche darin in Basel gelebt hat: Ein barocker Kabinettschrank und ein Biedermeierschrank. Beide sind in der Ausstellung zu sehen. Die restliche Einrichtung war sicherlich im zeittypischen Stil des Historismus. Nachdem Nietzsche 1879 Basel verlassen hat, war er freier Philosoph ohne einen festen Wohnsitz. Er ist also viel gereist und hat oft in Gästezimmern gelebt, die vermutlich ähnlich altdeutsch eingerichtet waren. Dabei kritisierte Nietzsche die „Jahrmarktsbuntheit“ des deutschen Historismus, den er als „Tumult aller Stile“ und als rückwärtsgewandt beschrieb. Dass Nietzsche Kritik an einem Stil übte, in dem er selbst lebte, ist einerseits widersprüchlich, andererseits muss man ihm zugutehalten, dass er keine Wahl hatte: Er hatte weder Geld noch Möglichkeit, sich beispielsweise mit den neuen Arts-and-Crafts-Möbeln aus England einzurichten und der moderne Jugendstil kommt erst später. Nietzsche stirbt zwar 1900, der denkende Nietzsche ist aber bereits 1889 tot.
Und die Bildnisse von Friedrich Nietzsche?
Manuel Schwarz: Interessanterweise hat sich Friedrich Nietzsche vor seinem geistigen Zusammenbruch nicht malen lassen. Er war auch noch nicht sehr berühmt, sodass keine große Nachfrage nach seinem Bildnis existierte. Erst mit dem beginnenden Ruhm und dem Nietzsche-Kult in den 1890er-Jahren setzte eine künstlerische Auseinandersetzung mit ihm ein. Teilweise kamen die Künstler freiwillig, teilweise handelte es sich um Auftragsarbeiten von Zeitschriften oder von Elisabeth Förster-Nietzsche. Man kann anhand von Briefen zeigen, wie sie Einfluss auf das Nietzsche-Bild genommen hat. Dabei stand die Frage im Raum, wie man „diesen Nietzsche“ darstellt: als Kranken, als Märtyrer, als großen Denker oder als Über-Nietzsche? Curt Stoevings erstes Gemälde von 1894 wurde von der Schwester beispielsweise kritisiert, weil sie fand, dass ihr Bruder darauf zu krank wirkte. Vor allem die Porträts von Hans Olde und Max Klinger wurden von ihr und anderen sehr gelobt und prägten das Nietzsche-Bild – bis heute.
Was ist mit dem privaten Besitz der Geschwister passiert, nachdem Elisabeth Förster-Nietzsche am 8. November 1935 gestorben ist?
Sabine Walter: Zunächst blieben die Dinge vor Ort, als Max Oehler, der Cousin der Geschwister Nietzsche, die Leitung des Archivs übernommen hat. 1945 wurde das Nietzsche-Archiv von der sowjetischen Militäradministration geschlossen und versiegelt. Oehler, ein vom Nationalsozialismus überzeugter ehemaliger Major und inzwischen über 70jährig, kam ins Gefängnis und wurde wegen vermeintlicher „Kriegsverbrechen“ hingerichtet. In den 1950er Jahren löste die Vorgängerinstitution der Klassik Stiftung Weimar die Einrichtung auf. Die heutige Herzogin Anna Amalia Bibliothek übernahm die Bücher. Möbel und Hausrat gelangten in wechselnde Museumsdepots. Manuskripte, Typoskripte, Fotos und Briefe kamen in das Goethe- und Schiller-Archiv.
Wie wurde mit Friedrich Nietzsche in der DDR umgegangen?
Sabine Walter: Nietzsche galt zu DDR-Zeiten als Persona non grata. Aus damaliger Sicht nicht zu Unrecht, denn Elisabeth Förster-Nietzsche und die Familie Oehler haben sich den faschistischen Systemen in Italien und Deutschland aktiv angedient. Und tatsächlich gibt es problematische Aussagen von Nietzsche, welche die Nazis in ihrem Sinne verwendet haben. Daher wurden seine Werke lange unter Verschluss gehalten. Man kam an nichts ran, nicht an seine Briefe und auch nicht an seine Werke. Nietzsches Bücher konnte man allerhöchstens heimlich „unterm Ladentisch“ erwerben. Erst seit den 1980er Jahren hat sich die DDR wieder für eine neue Nietzsche-Rezeption geöffnet. 1991 wurde eine neue Dauerausstellung im Nietzsche-Archiv eröffnet, allerdings nur im Erdgeschoss mit der Jugendstilausstattung von Henry van de Velde.
Mehr über Nietzsche in der DDR erfahren Sie im Interview mit Lothar Ehrlich.
Und die Möbel der Geschwister?
Sabine Walter: Der gesamte Hausrat liegt seit den 1950er Jahren im Museumsdepot und wir wissen eigentlich nicht, was wir damit machen sollen. Kunsthistorisch sind die Dinge weitgehend unbedeutend, das Interessante an ihnen ist ihre Herkunft. Heute wollen wir sie nicht mehr, wie noch im 19. Jahrhundert, als „Reliquien“ ausstellen. In einer musealen Präsentation auf Sockeln und unter Glas würden sie zu Fetischen. Friedrich Nietzsche hätte sich diese Ikonisierung auch verbeten. Außerdem würden wir Elisabeth auf den Sockel heben, die Einrichtung geht ja auf sie zurück. Also, wie geht man heute mit Nachlässen historisch bedeutender Persönlichkeiten um? Das ist eine spannende Frage.
… die Sie auch mit Ihrer Inszenierungspraxis aufgreifen. Können Sie etwas dazu sagen, warum die Exponate auf Paletten und in Transportkisten ausgestellt werden?
Sabine Walter: Uns war von Beginn an klar, dass wir die Dinge ungewöhnlich zeigen müssen. Beim Eintreten soll deutlich werden, dass hier etwas in Frage gestellt wird: Die Ausstellung präsentiert sich unfertig, die Dinge sind nicht in Vitrinen oder unter Verschluss und edel inszeniert. Stattdessen zeigen wir einen nicht erforschten Bestand, der viele Fragen aufwirft. Beispielsweise sind die Möbel schwarz angemalt. Warum? Vielleicht, weil Nietzsche empfindliche Augen hatte? Wir wissen es nicht.
Manuel Schwarz: Die Inszenierung in Kunsttransportkisten hat auch etwas mit der Ortlosigkeit der Objekte zu tun. Seit 1945 waren die Gegenstände in unterschiedlichen Depots und dabei immer unter Verschluss. Bis 1945 sind die Möbel teilweise viel gereist und bei vielen wissen wir nicht, wo sie herkommen. Wurden sie angekauft? Handelt es sich um Erbstücke? Von welchen Familienmitgliedern sind sie? Kommen sie aus Weimar, Basel, Naumburg? Welchen Weg haben sie genommen? Da gibt es noch viel zu erforschen.
Sabine Walter: Wir wollen aber noch ein weiteres Thema aufgreifen: Wertvolle Objekte erhalten für den Transport maßgefertigte Klimakisten. Die kann man sich wie Matrjoschkas vorstellen, die mit ihren mehreren Schichten das Kunstgut vor Erschütterungen und Klimaschwankungen schützen. Sobald sie ihren Dienst geleistet haben, werden sie geschreddert. Nur selten werden sie mehrfach genutzt. Das ist, was Nachhaltigkeit betrifft, natürlich äußerst fragwürdig. Wir haben uns deshalb überlegt, gebrauchte Kisten zu verwenden und diese nach der Ausstellung abzugeben. Man könnte sie beispielsweise zu Regalen oder Hochbeeten umbauen.
Welche Gegenstände, die in der Ausstellung zu sehen sind, haben Sie besonders fasziniert?
Sabine Walter: Der barocke Kabinettschrank ist interessant. Das Pappschild „Basel F.N. 6“ auf der Rückseite belegt, dass er tatsächlich in Nietzsches Wohnung im Spalentorweg 48 in Basel stand. Da er verschließbar ist, hat er sicherlich Wertgegenstände enthalten. Was hat Nietzsche hier wohl aufbewahrt? Vielleicht den Briefwechsel mit Richard Wagner? Die Querschliffprobe von der Fassung zeigt uns, dass er ursprünglich rot war und zwölfmal überstrichen wurde. Heute ist er tiefschwarz mit goldenen Zierstreifen, was ästhetisch mit einer gewissen Todes-Faszination assoziiert werden kann, die der Lichtmetaphorik in Nietzsches Schriften krass widerspricht.
Manuel Schwarz: Spannend ist auch der riesige Spiegel von Elisabeth Förster-Nietzsche. Der ist etwa zwei Meter groß und wir haben herausgefunden, dass Elisabeth vor dem Spiegel in Naumburg geheiratet hat. Das geht aus einem Brief der Mutter an Friedrich Nietzsche hervor, in dem sie die Hochzeitszeremonie beschreibt. Für uns war das nicht vorstellbar. Die Räume in Naumburg sind vergleichsweise klein und mit alten, schweren Möbeln vollgestellt. Also hat Dr. Ralf Eichberg vom Nietzsche-Dokumentationszentrum den Raum für uns ausgemessen. Nun können wir mit Gewissheit sagen, dass Elisabeth vor dem Spiegel in Naumburg geheiratet hat. Das ist aber noch nicht alles. Auf dem Foto ist alles exakt so aufgestellt – der Spiegel, die Stühle, ein Ozelotfell –, wie es die Mutter in dem Brief beschreibt. Es war sehr spannend, das herauszufinden und in Naumburg zu überprüfen. Auch hier kann man also zeigen, wie Elisabeth ihr eigenes Zimmer zu einem Memorialraum inszeniert hat.
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