© Klassik Stiftung Weimar
Neuzugang Museen

Die Gesamtkünstlerin Erica von Scheel

von
/

Erica von Scheel war Schülerin von Henry van de Velde und später selbst als Lehrerin an der Kunstgewerbeschule Weimar tätig. Ihrem Mentor blieb sie ein Leben lang verbunden. Einige ihrer Werke sind heute Teil der Sammlungen der Direktion Museen der Klassik Stiftung Weimar. Antje Neumann über die vielseitig begabte Künstlerin.*

Erica von Scheel (1881–1966) war gebildet und hochbegabt. Aufgrund ihres Aus­nah­me­ta­lents und ihrer Vielseitigkeit nahm die Künstlerin einen besonderen Platz im Weimarer Kreis um Henry van de Velde ein. Sie kannte viele Geistesgrößen und Künstler ihrer Zeit, etwa Hugo von Hofmannsthal, Rainer Maria Rilke, Paul Signac oder Théo van Rysselberghe, um nur einige zu nennen. Seit 1912 mit Ivo Hauptmann verheiratet, war sie darüber hinaus die Schwiegertochter des gefeierten Dichters Gerhart Hauptmann.

Erica von Scheel mit einer Haarspange und dem für sie entworfenen Anhänger von Henry van de Velde, 1905, Fotografie von Louis Held, © Klassik Stiftung Weimar

Erica von Scheel wurde 1881 als Tochter eines Generals in Metz geboren und wuchs zusammen mit ihren Schwestern in Darmstadt und Berlin auf. Bereits als Kind und Jugendliche galt ihre Liebe der Kunst. Sie zeichnete viel und absolvierte ab 1899 eine mehrjährige Ausbildung an der Berliner Malschule für Damen. Ende 1902 bewarb sich Erica von Scheel bei Henry van de Velde in Weimar, um am Kunstgewerblichen Se­mi­nar zu studieren. Schnell wurde sie dessen Meisterschülerin, schließlich Assistentin und späterhin sogar Lehrerin an der Weimarer Kunstgewerbeschule.

Erica von Scheel beherrschte viele Fertig- und Fähigkeiten. Nahezu jedem Material konnte sie künstlerisch Gestalt geben. So war sie nicht nur Malerin, sondern eine sogenannte Gesamtkünstlerin ganz im Sinne Henry van de Veldes. Doch im Ge­gen­satz zu ihrem Mentor setzte sie ihre Entwürfe eigenhändig um.

Folgende Anekdote veranschaulicht, wie Erica von Scheel zum Modellieren kam: Zu Beginn ihrer Weimarer Zeit saß Erica von Scheel in ihrem Atelier in der Lassenstraße, der heutigen Trierer Straße in Weimar. Aus Langeweile nahm sie einen Klumpen Ton in die Hand und begann zu modellieren. Ihren geschickten Händen entwuchs ein kleines Mädchen, die Hände voll Kummer vor das Gesicht haltend. Als Henry van de Velde eines Tages diese kleine Figur entdeckte, war er entzückt und ermunterte Erica von Scheel, die kleine Knieende in Bronze ausführen zu lassen. Erica von Scheel folgte dem Rat und ließ die Bronzefigur in geringer Stückzahl in Berlin gießen. Erica von Scheels Signet, ein verschlungenes ES, durfte natürlich nicht fehlen.

[1] Henry van de Velde (1863-1957), Entwurf für ein Monogramm für Erica von Scheel, 1905, Klassik Stiftung Weimar © VG Bild-Kunst, Bonn 2024

[2] Erica von Scheel in ihrem Atelier in Weimar, Foto aus dem Familienalbum, um 1910, Privatbesitz

Ton spielte fortan eine wichtige Rolle in ihrem Schaffen. So modellierte sie Kin­der­büs­ten, unter anderem von Anne van de Velde, Benvenuto Hauptmann oder von den Kindern Herbert Esches. Auch Damen der Weimarer Gesellschaft, wie Editha von Münchhausen oder die Künstlergattin Eleonore von Hofmann, standen ihr Modell. 1905 perfektionierte sie ihr Können bei Paul Dubois in Brüssel und erhielt bereits 1903 einen Dreijahresvertrag bei dem Westerwälder Keramiker Reinhold Hanke, für den sie Keramiken ausführte, die stilistisch den Arbeiten van de Veldes absolut ebenbürtig, aber dennoch eigenständig sind.

Die von Erica von Scheel aus Keramik gefertigte Porträtbüste von Anne van de Velde (Detailansicht) in der Wohndiele des Haus Hohe Pappeln, Aufnahme von 1909, © Klassik Stiftung Weimar

Ferner gestaltete Erica von Scheel Marmorpapiere, Fächer und Bücher. Sogar Möbel entwarf sie. Ihren größten Erfolg feierte sie jedoch mit ihren extravaganten Batiken. Mit Kusshand nahm ihr der Pariser Modezar Paul Poiret 1910 alle bis dahin gefertigten Batiken ab und beauftragte sie zwei Jahre lang mit der Ausführung weiterer Batiken, die schließlich als Teil seiner Modeschöpfungen in ganz Paris der „letzte Schrei“ waren. Schließlich fertigte Poiret als Dank eigens für Erica von Scheel ein Kleid in stahlblauer glänzender Seide.

Zwischen Henry van de Velde und Erica von Scheel bestand eine enge Allianz, die auf gegenseitiger Sympathie und lebenslanger Wertschätzung beruhte. Erica von Scheel war im Laufe der Weimarer Jahre eine unverzichtbare Mitarbeiterin für van de Velde geworden. So übersetzte sie seine Schriften Notizen von einer Reise nach Grie­chen­land oder Vom Neuen Stil und half ihm bei der Vollendung der Luxusausgaben Zarathustra und Ecce Homo. Aber auch zu Maria van de Velde und den fünf Kindern pflegte „Scheelchen“, wie sie liebevoll genannt wurde, sehr herzliche Beziehungen. Sie fuhr zuweilen sogar in den Familienurlaub mit.

Henry van de Velde in seinem Atelier in der Kunstgewerbeschule, 1907, Fotografie von Louis Held. Mit Widmung Henry van de Veldes an Erica von Scheel: „À ma toute dévoué collaboratrice Erica von Scheel, Henry v.d.V, Weimar Juillet 1907“, © Klassik Stiftung Weimar

Zeugnis dieser engen Verbundenheit ist ein kleines exquisites Konvolut von Arbeiten, das nunmehr die Bestände der Direktion Museen der Klassik Stiftung Weimar be­rei­chert. Die Arbeiten von Henry van de Velde und Erica von Scheel stammen aus dem Nachlass der Künstlerin. Über Jahrzehnte in Privatbesitz, wurden sie 2024 der Direktion Museen als großzügige Schenkung übergeben. Ein weiterer Teil konnte erworben werden. Zu dem Konvolut gehören ein silberner Anhänger mit Nau­ti­lus­mu­schel sowie eine Silberdose mit Monogramm nach Entwürfen Henry van de Veldes, ausgeführt vom Weimarer Hofjuwelierhaus Theodor Müller. Es handelt sich hierbei um zwei exklusive Sonderanfertigungen für Erica von Scheel. Stilvoll auf die Trägerin abgestimmt, ist insbesondere der Anhänger von ausgesuchter Eleganz. Formschön gehen die beiden unterschiedlichen Materialien – das Silber und das polierte Ge­häu­se eines Nautilus – eine harmonische Einheit ein. Wie bei den Möbeln van de Veldes sind es die kleinen Details, die von besonderer Raffinesse zeugen: die dezente Strukturierung der Silberoberfläche, die verschlungenen Linienverläufe und der vollendete untere Abschluss des Schmuckstücks. Erica von Scheel liebte diesen Anhänger so sehr, dass sie sich 1905 vom Weimarer Hoffotograf Louis Held damit ablichten ließ (siehe Fotografie oben).

[1] Henry van de Velde (1863-1957), Anhänger mit Nautilusschale, 1905, ausgeführt vom Hofjuwelier Theodor Müller, Weimar, Klassik Stiftung Weimar © VG Bild-Kunst, Bonn 2024

[2] Henry van de Velde (1863-1957), Dose für einen Anhänger, 1905, ausgeführt vom Hofjuwelier Theodor Müller, Weimar, Klassik Stiftung Weimar © VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Ebenfalls Teil des Konvoluts, das sich nun in Weimar befindet, ist ein gesamt­künst­lerisches Unikat des Dramas Der Tor und der Tod mit der Widmung „Geschrieben für Henry van de Velde von Erica von Scheel. 1909“. Wie Harry Graf Kessler und Henry van de Velde hegte auch Erica von Scheel eine Vorliebe für buchkünstlerische Projekte und bibliophile Ausgaben. Ab 1907 unterstützte sie van de Velde bei der Über­ar­bei­tung der Entwürfe der Prachtausgabe Also sprach Zarathustra von Friedrich Nietz­sche. Sie widmete sich der Schriftgestaltung und der Ausführung von Mar­mor­pa­pie­ren und Bucheinbänden, erteilte 1909 an der Weimarer Kunstgewerbeschule einen Kurs zur Anfertigung von Vorsatzpapieren und besuchte im gleichen Jahr einen Schriftkurs von Anna Simons. Vermutlich in diesem Kontext entstand die exklusive Sonderanfertigung zu Der Tor und der Tod von Hugo von Hofmannsthal. Erica von Scheel kannte den österreichischen Schriftsteller und Dramatiker, denn mehrfach hielt sich dieser als Gast von Harry Graf Kessler in Weimar auf. Erica von Scheel verehrte die Werke Hugo von Hofmannsthals und wählte das kurze Vers-Drama Der Tor und der Tod vermutlich auch aus ganz persönlichen Gründen. Mit viel Hingabe gestaltete sie den Einband, das marmorierte Vorsatzpapier und die Typografie. Warum sie jedoch das gesamtkünstlerische Werk Henry van de Velde nie übereignete, bleibt ein Geheimnis. Waren die Anfertigung und das vorangestellte Zitat eventuell zu privat?

„Es war doch schön. Denkst du nie mehr daran?“

Erica von Scheel, Einband mit geprägter Schrift, marmoriertes Vorsatzpapier und handschriftlicher Text ‚Der Tor und der Tod‘ (Hugo von Hofmannsthal), 1909, mit Widmung „Geschrieben für Henry van de Velde von Erica von Scheel. 1909“, © Klassik Stiftung Weimar
*Der Beitrag basiert auf eigenen Veröffentlichungen, Recherchen und mündlichen Überlieferungen der Nachfahren Erica von Scheels.
Keramiken von Erica von Scheel und die von Henry van de Velde für die Künstlerin entworfene Silberdose und der Anhänger können im Museum Neues Weimar besichtigt werden.
In der Direktion Museen der Klassik Stiftung Weimar wird das Werkverzeichnis von Henry van de Velde erarbeitet. Es wird ab Frühjahr 2025 unter www.wvz-henryvandevelde.de als Open Source zur Verfügung gestellt (mehr Infos gibt's hier).

Neuen Kommentar schreiben

* Diese Felder sind erforderlich

Aus unserem Blog

Vorhaben der Klassik Stiftung Weimar werden gefördert durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und den Freistaat Thüringen, vertreten durch die Staatskanzlei Thüringen, Abteilung Kultur und Kunst.