Seltene Zitrusfrucht in Belvedere
von , /Diesen Sommer konnte in der Orangerie eine Citrus Bizzaria bestaunt werden. Die Beschäftigung mit dieser besonderen Pflanze reicht in Weimar mindestens bis 1723 zurück, wie eine außergewöhnliche Buchhandschrift verrät.
In der Orangerie Belvedere hat im Sommer eine Citrus aurantium Bizzaria gefruchtet. Die seltene Zitruspflanze stammt ursprünglich aus Italien und gelangte vor einigen Jahren durch einen Pflanzentausch mit der botanischen Sammlung von Wien Schönbrunn in die Belvederer Sammlung. Die heutigen Orangeriegärtner knüpfen bewusst an die Tradition des 18. und 19. Jahrhunderts an. Auch damals tauschten die Belvederer Hofgärtner Pflanzen oder Samen mit den Gärtnern aus Wien, Paris, St. Petersburg und anderen europäischen und internationalen Städten. Mit ihrem Netzwerk gelang es, die botanischen Sammlungen umfassend zu erweitern.
Die außergewöhnliche Citrus Bizzaria mit ihren merkwürdigen Früchten wird aber bereits in der historischen Literatur des 17. Jahrhunderts beschrieben. Wir finden sie in den sogenannten Hesperides sive de Malorum Aureorum Cultura et Usu Libri Quatuor von Giovanni Battista Ferrari, dem damaligen, 1646 in Rom gedruckten, Standardwerk der Zitruskultur.
Das Buch war auch im 18. Jahrhundert ein Klassiker der Gartenliteratur, wie eine illustrierte Buchhandschrift in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek bezeugt. Sie entstand 1723 und enthält handgeschriebene Auszüge aus vier Kapiteln der Hesperides in deutscher Übersetzung sowie 82 Federzeichnungen nach den Kupferstichen der gedruckten Originalausgabe. Die Deckel des Halbpergamentbandes schmückt ein Goldbrokatpapier mit floralen Ranken und Blumenarrangements auf grünem Grund.
[1] Der Deckel der Buchhandschrift ist schmuckvoll verziert mit goldenen floralen Ranken und Blumenarrangements auf grünem Grund. (Signatur: Fol 207, Foto: Digitale Sammlungen der Herzogin Anna Amalia Bibliothek)
[2] Die Notiz im unteren Drittel des Titelblatts gibt Auskunft über die Entstehung der Buchhandschrift. (Signatur: Fol 207, Foto: Digitale Sammlungen der Herzogin Anna Amalia Bibliothek)
Eine Notiz auf dem Titelblatt der Handschrift nennt Details zu ihrer Entstehung: „Dieses Buch haben die Durchlauchtigste verwittibte Hertzogin zu Sachsen Weimar gebohrne Landgräfin zu Hessen Homburg abcopirt in dem Jahr 1723 im octobris.“ Bei der erwähnten Fürstin handelt es sich um Charlotte Dorothea Sophie von Sachsen-Weimar, die heute nahezu vergessene Gemahlin des 1707 verstorbenen Herzogs Johann Ernst III. von Sachsen-Weimar und Bauherrin des Gelben Schlosses, welches sie bis zu ihrem Tod 1731 bewohnte. An der Nordfassade des heute zum Studienzentrum der Herzogin Anna Amalia Bibliothek gehörenden Gebäudes sind noch ihre Initialen in schmiedeeisernen Lettern zu lesen: C.D.S.D.S.L.H.H. – Charlotta Dorothea Sophia Ducissa Saxoniae Landgravia Hasso Homburgiae.
Zur Buchhandschrift in den Digitalen Sammlungen der Herzogin Anna Amalia Bibliothek.
Die Fürstin besaß eine Orangerie in der Nähe des Gelben Schlosses, die nach ihrem Tod verfiel und schließlich abgerissen wurde. Ihre Privatbibliothek, von der sich eine Bücherliste in den Nachlassdokumenten erhalten hat, belegt ein besonderes Interesse am Gartenbau. In der Auflistung wird die Handschrift mit den Federzeichnungen allerdings nicht erwähnt. Sie gehört zu den wenigen Büchern in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek, die Charlotte Dorothea Sophie eindeutig als Vorbesitzerin zugeordnet werden können. Der Rest ihrer Privatbibliothek verließ Weimar vermutlich bei der Aufteilung des Erbes und fand keinen Eingang in die Herzogliche Büchersammlung.
Wie die Zeilen auf dem Titelblatt der Handschrift zu interpretieren sind, bedarf weiterer Untersuchungen. Charlotte Dorothea Sophie hat mit hoher Wahrscheinlichkeit die Federzeichnungen der Zitrusdarstellungen angefertigt. Ob sie auch die Übersetzerin der Auszüge aus dem Werk Ferraris ist, lässt sich vorerst nicht eindeutig klären. Die Handschrift des Textteils ähnelt dem Vermerk auf dem Titelblatt und ist eventuell einem Schreiber zuzuordnen.
Als frühe Teilübersetzung der Hesperides von Ferrari, als Zeugnis ihrer Rezeption und praktischen Anwendung besitzt die Weimarer Buchhandschrift einen einzigartigen Stellenwert in der Geschichte der Gartenliteratur und der Zitruskultur. Bislang sind weder eine weitere Übersetzung noch vergleichbare Nachzeichnungen der Zitrusdarstellungen bekannt. Ein gedrucktes Exemplar der italienischen Originalausgabe befand sich lange Zeit auf der zweiten Galerie des Rokokosaals der Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Es wurde beim Bibliotheksbrand am 2. September 2004 zerstört.
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